Hass auf Muslime - vor 10 Jahren wurde Marwa El-Sherbini ermordet

Vor zehn Jahren, am 1. Juli 2009, wurde Marwa El-Sherbini im Landgericht Dresden ermordet. Der Täter handelte aus Hass auf Musliminnen und Muslime. Ein Anlass, sich mit "antimuslimischem Rassismus" zu beschäftigen: "Antimuslimischer Rassismus" steht für die pauschale Abwertung und Diskriminierung von Menschen, die als Muslim*innen wahrgenommen werden.

Negative Einstellungen und Vorurteile gegenüber Muslim*innen sind in Deutschland der aktuellen Studienlage nach sehr verbreitet:

  • Laut der Bielefelder "Mitte"-Studie stimmten 2018 über ein Drittel (36 Prozent) der Befragten der Aussage zu "durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land" - in der Leipziger "Autoritatismus"-Studie waren es sogar mehr als die Hälfte (rund 56 Prozent).
  • Viele vertreten außerdem die Meinung, man solle Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagen: die "Mitte"-Studie kam hier auf etwa 18 Prozent, die "Autoritarismus"-Studie auf rund 44 Prozent. Beide Untersuchungen zeigen, dass es im Osten Deutschlands zum Teil mehr Vorbehalte gegen Musliminnen und Muslime gibt als im Westen.
  • Jeder Zweite in Deutschland meint, der Islam passe nicht in die deutsche Gesellschaft. Das ergab eine Umfrage der Evangelischen Kirche im Jahr 2018. Rund 45 Prozent der Befragten erklärten, sie hätten etwas gegen einen muslimischen Bürgermeister oder eine muslimische Bürgermeisterin in ihrer Gemeinde.

Erst seit 2017 werden antimuslimische Straftaten von den Behörden gesondert erfasst. 2018 zählte das Bundesministerium des Inneren (BMI) 910 solcher Delikte. Zu den islamfeindlichen Straftaten werden auch Angriffe auf Moscheen oder muslimische Gebetsräume gezählt: Im ersten Quartal 2019 hat das BMI bereits 19 solcher Angriffe registriert, 2018 waren es insgesamt 48. Wichtig: Nicht alle Straftaten werden angezeigt. Nicht jedes angezeigte Delikt wird von den Behörden als islamfeindlich motiviert erkannt. 

Viele Zahlen - und der Mord an Marwa El-Sherbini vor zehn Jahren? Es schockiert nicht nur die Tat an sich, sondern auch seine Vorgeschichte und die Reaktionen darauf. 

Kurz zur Erinnerung: Marwa El-Sherbini, 31 Jahre, eine studierte Pharmazeutin, Ägypterin, Mutter eines kleinen Sohnes, lebte im Jahr 2009 mit ihrer Familie in Dresden, ihr Mann war Doktorand am dortigen Max-Planck-Institut. Bei einem Spielplatzbesuch wurde El-Sherbini von einem Mann als "Terroristin", "Islamistin" und "Schlampe" beschimpft. Die von einer anderen anwesenden Person hinzugerufene Polizei nahm den Vorgang vor Ort auf. Im Rahmen der Verhandlungen zeigte der Angeklagte, ein in Perm/Russland geborener Deutscher, keine Reue. Stattdessen machte er weitere ausländerfeindliche Äußerungen, was die Staatsanwaltschaft veranlasste, Berufung einzulegen und ein höheres Strafmaß zu fordern. In der Berufungsverhandlung am 1. Juli 2009 griff der Angeklagte die im dritten Monat schwangere Marwa El-Sherbini an, als sie nach ihrer Zeugenaussage den Gerichtssaal des Landgerichtsgebäudes verlassen wollte, und tötete sie mit 18 Messerstichen. Ihren Ehemann, der ihr zu Hilfe eilen wollte, verletzte er  lebensgefährlich. Der Täter wurde im November 2009 wegen Mordes an Marwa El-Sherbini und versuchten Mordes an ihrem Ehemann zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Mord an Marwa El-Sherbini sei heimtückisch und aus niederen Beweggründen – nämlich Ausländerhass – begangen worden. Das Gericht schloss eine Affekttat aus und hielt den Täter zum Tatzeitpunkt für voll schuldfähig. 

Bemerkenswert sind die Reaktionen nach der Tat. Hier alles aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen: Im Ausland erhoben sich Protestkundgebungen, die eine angemessene Reaktion auf deutscher Seite vermissten. Antideutsche Äußerungen fielen, Empörung bei Muslim*innen weltweit. Viele deutsche Medien beschäftigten sich nicht mit dem rassistischen Hintergrund der Tat. Erst nach Berichten ausländischer Presse änderten sich der Tenor in einigen deutschen Medien. Eine Erklärung insgesamt für die Bewertung des Falles versuchte DIE ZEIT. Hier ein interessanter Ausschnitt aus dem Artikel vom 16. Juli 2009, mehr als zwei Wochen nach der Tat:

"Sie [Marwa El-Sherbini] hatte auf die deutsche Justiz vertraut, hatte bei ihr Schutz vor dem Ausländerhass gesucht – und ist in einem deutschen Gerichtssaal schutzlos gestorben. Das ist das furchtbare Paradox, das ist auch die politische Explosivität des Falls. Wenn man einmal Mutmaßungen über das (west-)deutsche Mehrheitsbewusstsein anstellen darf, dann spielten sich dort nach dieser Tat folgende Gedankengänge ab: 1. Wie furchtbar, die arme Frau, was für ein Unglück. 2. Die Tat geschah nicht wirklich in Deutschland, sondern im Osten. 3. Der Täter ist ein Russlanddeutscher, bekanntermaßen die problematischste Minderheit, die in diesem Land lebt, also keiner von uns. 4. Ein Einzelfall also: Übergang zur Tagesordnung. So wurde die Sache mental marginalisiert, auch die Politik nahm das alles zunächst nur aus dem Augenwinkel wahr. Die Dresdner Justiz hatte die Verhandlung für eine Routinesache gehalten. Was anderswo Standard ist – Taschenkontrolle, Metalldetektoren –, bildet die Ausnahme in sächsischen Gerichtsgebäuden. Für eine solche Ausnahme aber, so Justizminister Geert Mackenroth (CDU), waren "keine besonderen Sicherheitsrisiken erkennbar". Die Wahrnehmungsschwäche wirkte weiter, als das Verbrechen schon geschehen war." Den insgesamt lesenswerten Artikel finden Sie hier.  

Marwa El-Sherbini gilt als das erste Todesopfer islamfeindlicher Hetze in Deutschland.