Coronavirus-Prävention: Soziale Distanzierung vor dem Hintergrund sozialer Ausgrenzung
Diskriminierungskritische Fragen und Quergedanken zum Umgang mit der Corona-Krise.
Auf den ersten Blick macht der Virus alle gleich. Alle können sich anstecken und erkranken. Statistisch in Lebensgefahr sind vor allem Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen, aber auch die kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus. Sie sind Angehörige, Freund*innen und Nachbarn. Der Virus unterscheidet dabei nicht zwischen arm und reich. Herkunft, Hautfarbe, geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung und auch viele Formen von Behinderung interessieren ihn nicht.
Eben weil bestimmte Risikogruppen besonders gefährdet sind, sind alle – auch die, die selbst kaum gefährdet sind – aufgefordert, ihren Teil dazu beizutragen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Es geht darum, in einer solidarischen Anstrengung die Ansteckungskurve so abzuflachen, dass das Gesundheitssystem in der Lage ist, die Erkrankten zu versorgen. Um das zu erreichen müssen Begegnungen zwischen Menschen so weit wie möglich begrenzt werden.
Die Krise betrifft „uns“ also alle. Doch betrifft sie uns alle gleich? Müssen wir nicht skeptisch sein, wenn mediale Diskurse dieses „Wir“ in den Mittelpunkt stellen? Welche Differenzen werden darin unsichtbar gemacht? In unserer Arbeit erleben wir, dass die Maßnahmen, die für alle gleich durchgeführt werden, für alle ganz unterschiedliche Auswirkungen haben. Der Virus macht uns nicht gleicher. Er vergrößert bestehende Ungleichheiten. Die Krise überdeckt andere Krisen nicht, durch die Krise werden bereits bestehende Krisen sichtbarer.
Wir haben angesichts dieser für uns alle völlig neuen Situation keine Antworten, aber wir haben Fragen. Wir haben keine einfachen Lösungen, sondern wollen Widersprüche und Ambivalenzen aufzeigen, auch Dilemmas, vor denen wir in unserer eigenen Arbeit stehen.
Mit diesem Text wollen wir unsere eigenen Versuche teilen, quer zu denken. Dies ist das, was wir mit unserem Wissen und unserer Erfahrung im Moment beitragen können. Dabei greifen wir Gedanken und Impulse von anderen auf, die an anderen Orten ebenfalls gegen den Strom denken. Wie viele stehen wir dabei am Anfang. Wir wollen daher von den Erfahrungen der letzten Wochen in unserer Praxis der Antidiskriminierungsarbeit ausgehen. Wir wollen die Stimmen der Gruppen, mit denen wir arbeiten, aufgreifen. Stimmen, die in der öffentlichen Diskussion kaum Raum finden.
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